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Windstille der Seele

Ein junger Mann in einem hellblauen Shirt hat die Arme vor der Brust verschränkt und stützt mit einer Hand sein Kinn. Er blickt gelangweilt in die Kamera.

Warum dieser Artikel interessant für Dich sein könnte

Langeweile muss nichts Negatives sein – sie ist oft ein hilfreiches Signal, um unser Verhalten anzupassen und produktiver zu werden. Der Artikel beleuchtet, wie wir mit Langeweile umgehen können und warum sie manchmal sogar notwendig ist, um Kreativität und geistige Klarheit zu fördern.

19.04.2024

Text: Ute Stabingies; Fotos: Adobe Stock/Krakenimages, Adobe Stock/swissa

Langeweile hat ein denkbar schlechtes Image: Wer gibt schon zu, dass ihm langweilig ist? Stattdessen haben wir uns Tool-Boxen zugelegt, um uns abzulenken: mal eben Mails und Messenger checken, ein bisschen surfen im Netz und zur Not leistet auch der Kühlschrank gute Dienste. „Gelangweilt zu sein, passt nicht in das Bild, das andere von uns haben sollen“, erklärt Bildungspsychologe Thomas Götz von der Universität Wien. „Wir befürchten, nicht anerkannt zu sein. Langeweile gilt als Indikator, nicht voll im Geschäft zu sein.“ Die Franzosen zum Beispiel gehen mit Langeweile viel entspannter um. „In Frankreich hat es durchaus Charme, sich ab und zu mal zu langweilen. Es wird sogar positiv bewertet, weil man in der Lage ist, über das eigene Handeln und Tun zu reflektieren“, beschreibt es Thomas Götz.

Das Gefühl, sich zu langweilen, kommt meistens ganz tückisch-harmlos um die Ecke: Eigentlich hatten wir uns ja etwas vorgenommen, schaffen es aber irgendwie nicht, die Aufgabe anzugehen. „Ähnlich wie Schmerz ist Langeweile ein extremer, aber auch informativer Zustand. Deshalb ist es wichtig, darauf angemessen zu reagieren. Meistens macht Langeweile ihren Job nämlich ganz gut: Sie hilft uns, eine für uns besser passende Aktivität zu finden. Sie ist ein wichtiges Signal, das wir ernst nehmen sollten“, rät Wanja Wolff von der Universität Konstanz. Der Sportwissenschaftler und -psychologe definiert Langeweile als Zustand, in dem wir unsere Ressourcen offenbar falsch einsetzen. Wir verschwenden unsere Zeit zwar nicht, aber wir empfinden es eben als keine gute Zeit. Die Folge: Unsere Konzentration geht flöten, wir suchen Ablenkung, wirken müde. Manche Menschen reagieren mit Herzrasen oder Aggression.

An einem vereisten See liegt ein kleines Boot an.
So hat der Philosoph Friedrich Nietzsche Langeweile beschrieben: Wie ein Segler bei Flaute fühlen wir uns ausgebremst, antriebslos, verlieren den positiven Flow.

Wege aus dem Hamsterrad

Jeder erlebt Langeweile anders und in ganz verschiedenen Situationen. Manchen Menschen fällt es aber offenbar leichter, anderen wiederum schwerer, Auswege zu finden. „Menschen, die sich sehr oft langweilen, berichten oft auch von weniger Selbstkontrolle und können sich schlechter konzentrieren“, so Sportpsychologe Wanja Wolff. Disziplin, Fokussierung und Willenskraft kommen Schlüsselfunktionen zu. Uns ist zum Beispiel eher langweilig, wenn wir keinen richtigen Sinn in unserem Tun sehen. „Hilfreich ist es, die eigenen Handlungen wertzuschätzen, egal, wie spannend sie sind“, rät Wolff. Das kann zum Beispiel heißen, möglichst fix eine langweilige Steuererklärung zu erledigen. Denn wenn das geschafft ist, winkt als Belohnung ja freie Zeit.

Entscheidend, ob Langeweile ihr toxisches Potenzial ausleben kann, ist die Dosis. Darauf weist die Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der SRH Hochschule in Nordrhein-Westfalen, Sabrina Krauss, hin. Sie selbst hat während der Coronazeit begonnen, sich wissenschaftlich mit diesem Thema zu beschäftigen. „Wenn mir ab und zu mal langweilig ist, und so erleben es ja die meisten Menschen, dann ist das etwas ganz anderes, als wenn ich täglich eine große Sinnlosigkeit fühle.“ Aber selbst kleine Pausen haben wir uns abgewöhnt. Wer genießt zum Beispiel während einer Bahnfahrt einfach mal die Aussicht, ohne nach ein paar Minuten zu schauen, ob es vielleicht eine neue WhatsApp-Nachricht gibt?

Kleine Langeweile-Momente können uns nämlich weiterbringen. Unser Gehirn ist während dieser Zeit aktiv, ordnet Gedanken und Reize, die auf uns einströmen. Geistige Aufgeräumtheit, uns einfach mal runterfahren, macht den Weg frei für Kreativität. Sabrina Krauss rät deshalb: Langeweile einfach mal zulassen und aushalten. „Solange es keinen großen Leidensdruck gibt, sollte man sich deshalb keinen zusätzlichen Stress machen.“ Wie wär’s, beim nächsten Anflug von Langeweile nicht das Smartphone zu zücken, sondern sich bewusst eine „Ich-Zeit“ zu gönnen und nichts zu tun, zu nixen, wie es die Holländer nennen? Das braucht vielleicht ein bisschen Übung, aus Langeweile wird dann im besten Fall eine angenehme Muße.

Was hilft gegen Langeweile?

  • Bloß kein Stress! Wir dürfen uns auch mal langweilen, Gedanken schweifen lassen und einfach mal nichts tun.
  • Die Langeweile bei den Hörnern packen: Schleicht sie sich immer bei der gleichen Tätigkeit ein, kann das ein Zeichen für Über- oder Unterforderung sein. Das herauszufinden, ist oft schon ein Teil der Lösung.
  • Sport ist ein probates Mittel, den Kopf wieder frei zu pusten. Ausdauersportarten wie Marathon oder Fahrradfahren haben laut Studien jedoch ein erhöhtes Langeweile-Potenzial. Vor sich selbst davonlaufen funktioniert also nicht.
  • Es gibt keinen festen Punkte-Plan. So individuell langweilige Momente sind, so sind es auch die Handlungsmöglichkeiten.