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Wenn das Immunsystem verrücktspielt

Auf hellblauem Untergrund liegen ein Stethoskop, ein Fläschchen für Augentropfen, ein Blister mit Kapseln und eine Spritze. Dazwischen ist mit kleinen Holzwürfeln das Wort „Sepsis“ in Großbuchstaben gelegt.

Warum dieser Artikel interessant für Dich sein könnte

Unser Artikel bietet Einblicke in die Erkennung und Behandlung von Sepsis, einer oft tödlichen Erkrankung, deren Symptome oft missverstanden oder übersehen werden. Er unterstreicht die Bedeutung von Präventionsmaßnahmen und gibt praktische Tipps, wie man das Risiko einer Sepsis minimieren kann.

20.06.2024

Text: Andrea Veyhle; Fotos: Adobe Stock/Andrey Popov, Adobe Stock/Subbotina Anna, Adobe Stock/Phimwilai

Eine kleine Schnitt- oder Schürfwunde, eine Erkältung, ein Harnwegsinfekt, eine Lungenentzündung – all das kann zu einer Sepsis, umgangssprachlich auch Blutvergiftung genannt, führen.

Normalerweise kann unser Immunsystem Erreger erfolgreich bekämpfen. Bei der Sepsis gerät das Abwehrsystem aber außer Kontrolle: Das Immunsystem kann die lokale Infektion nicht mehr kontrollieren, die Erreger und von ihnen produzierte Giftstoffe verteilen sich über die Blutbahn im gesamten Körper. Das setzt eine fatale Kettenreaktion in Gang: Das Immunsystem reagiert auf die Ausbreitung der Infektion und schüttet massenhaft Immunzellen wie Lymphozyten und Botenstoffe aus. Diese überschießende Immunreaktion schädigt die Gefäße, die Blutgerinnung wird gestört, der Blutdruck fällt dramatisch ab. Organe wie Lunge, Herz und Niere werden nicht mehr versorgt, dadurch geschädigt und versagen schließlich.

Eine der häufigsten Todesursachen in Deutschland

In Deutschland erkranken jährlich rund 230 000 Menschen an einer Sepsis, mindestens 85 000 Menschen sterben daran. Alle sechs Minuten stirbt in Deutschland ein Mensch an einer Sepsis. Diese Zahlen gab die Initiative „Deutschland erkennt Sepsis“ im Jahr 2023 bekannt. Wer die Erkrankung überlebt, muss mit Folgen rechnen: Bis zu 75 Prozent aller Menschen, die an einer Sepsis erkrankt waren, leiden auch noch lange Zeit danach an Müdigkeit, Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsstörungen, Depressionen, chronischen Schmerzen sowie Schäden an Muskeln und Nervensystem.

Wie entsteht eine Sepsis?

Die umgangssprachliche Bezeichnung „Blutvergiftung“ ist irreführend, eine Sepsis ist keine Vergiftung im herkömmlichen Sinne. Eine Sepsis ist die schwerste Verlaufsform einer Infektion. Am Anfang steht eine Infektion mit einem Erreger. Das können Bakterien sein, die Harnweginfektionen, Nasennebenhöhlen- oder Lungenentzündungen, Wundinfektionen oder Zahnabszesse auslösen. Oder Viren, die zu einer Influenza, einer Hepatitis oder Covid-19 führen. Aber auch Parasiten, die Erkrankungen wie zum Beispiel Malaria auslösen, können im weiteren Verlauf zu einer Sepsis führen, ebenso wie Pilzinfektionen. Gefährlich machen die Sepsis jedoch nicht die Erreger, sondern die Überreaktion des körpereigenen Abwehrsystems.

Eine Frau liegt auf dem Sofa. Sie ist zugedeckt, trägt einen Schal, schnäuzt sich die Nase und hält ihren Kopf fest. Auf der Sofalehne im Vordergrund des Bilde steht ein Glas Wasser, daneben liegt ein Blister Tabletten.
Eine Sepsis ist umgangssprachlich als Blutvergiftung bekannt. Dabei ist sie keine Vergiftung im herkömmlichen Sinne, sondern die schwerste Verlaufsform einer Infektion.

Wie erkennt man eine Sepsis?

Eine Sepsis wird häufig nicht oder zu spät erkannt, denn die Symptome wie Fieber, Schüttelfrost und Schmerzen können zunächst auch durch andere Erkrankungen wie eine Lungenentzündung oder eine Grippe ausgelöst werden. Deutliche Alarmzeichen sind schwerstes Krankheitsgefühl, beschleunigte und erschwerte Atmung sowie plötzliche Verwirrtheit, Desorientierung und Benommenheit. Auch blasse oder durchscheinende, marmorierte Haut können auf eine Sepsis hindeuten.

Bei Kindern, die häufiger Fieber haben, ist eine Sepsis schwerer zu erkennen. Besondere Vorsicht ist geboten, wenn es dem Kind plötzlich sehr viel schlechter geht, es benommen wirkt und sich anders verhält als bei anderen Infekten. Trinkt ein Säugling oder Kleinstkind nicht mehr oder kaum, ist der Blick verschwommen, sind das sehr ernstzunehmende Alarmzeichen. Treten diese Symptome auf, muss sofort der Notarzt unter der Telefonnummer 112 gerufen werden, beim Notruf sollte man erwähnen, dass es sich um eine Sepsis handeln könnte.

Checkliste: Symptome einer Sepsis

  • Starkes Krankheitsgefühl
  • Fieber, Schüttelfrost oder Unterkühlung
  • Plötzliche Verwirrtheit, Desorientierung und Benommenheit
  • Sprachstörungen
  • Erhöhter Puls und Herzrasen
  • Niedriger Blutdruck
  • Schnelle, schwere Atmung, Kurzatmigkeit bis zur Luftnot
  • (Muskel-)Schmerzen
  • Blasse, verfärbte oder fleckige Haut
  • Probleme beim Wasserlassen, Durchfall, Übelkeit, Erbrechen

Gefährliche Mythen: Blutvergiftung und der rote Strich, der zum Herzen wandert

Eine strichförmige, dunkelrote, bläuliche oder violette Verfärbung der Haut, die sich in Richtung Oberkörper und Herz ausbreitet, ist übrigens kein Symptom einer Sepsis. Eine solche Hautverfärbung kann auf eine Entzündung der Lymphbahnen hindeuten, Mediziner sprechen von einer Lymphangitis. Auch diese Form der Entzündung muss ärztlich behandelt werden. In schweren Fällen kann eine Lymphangitis auf den Blutkreislauf übergehen, dann entsteht daraus eine Sepsis.

Wer ist besonders gefährdet?

Jeder kann an einer Sepsis erkranken. Menschen mit einem geschwächten Immunsystem haben allerdings ein höheres Risiko. Dazu gehören chronisch Kranke, Patientinnen und Patienten mit mehreren Verletzungen an verschiedenen Stellen, großflächigen Verbrennungen sowie Menschen ohne Milz. Gefährdet sind auch über 60-Jährige, Säuglinge sowie Menschen aller Altersgruppen, die sich einer größeren Operation unterziehen müssen.

Nahaufnahme von zwei Menschen, die an einem Tisch sitzen: Der Mann hält die Hand einer Frau in seinen Händen. Er trägt einen weißen Arztkittel, sie einen grauen Strickpullover. Vor ihm liegen ein Klemmbrett und ein Kugelschreiber sowie ein Medikamentenfläschen, eine Ampulle und ein Blister mit Tabletten.
Wird eine Sepsis rechtzeitig erkannt, kann sie im Anfangsstadium mit Medikamenten und ohne intensivmedizinische Maßnahmen behandelt werden.

Wie wird eine Sepsis behandelt?

Rechtzeitig erkannt kann eine Sepsis im Anfangsstadium noch mit Medikamenten und ohne intensivmedizinische Maßnahmen behandelt werden. Patienten müssen schnellstmöglich Breitband-Antibiotika erhalten. Um festzustellen, um welchen Erreger es sich handelt, sollten zuvor Blutproben und Abstriche vom mutmaßlichen Infektionsherd genommen werden. Ist der Infektionsherd bekannt, etwa ein Wund- oder Knochenabszess, muss er chirurgisch entfernt werden. Sind Venen- oder Blasenkatheter die Ursache, müssen auch sie entnommen werden. Im weiteren Verlauf einer schweren Sepsis versagen eines oder mehrere Organe; intensivmedizinische Behandlung wie Beatmung, Dialyse oder künstliches Koma wird nötig. Beim septischen Schock kommt es zu einem extremen Blutdruckabfall, der Körper kann nicht mehr mit ausreichend Sauerstoff versorgt werden.

Wichtig ist: Eine Sepsis ist immer ein medizinischer Notfall, der schnellstmöglich behandelt werden muss!

Wie kann man einer Sepsis vorbeugen?

  • Zu den wichtigsten vorbeugenden Maßnahmen gehören Impfungen. Halte Deinen Impfschutz vor Infektionskrankheiten aufrecht und lasse Deinen Impfstatus regelmäßig kontrollieren.
  • Säubere und desinfiziere Wunden sorgfältig und suche bei Symptomen wie Fieber und Anzeichen einer Entzündung der Wunde einen Arzt auf.
  • Hände waschen nicht vergessen!
  • Trinke ausschließlich sauberes Trinkwasser. Versichere Dich, besonders auf Reisen, dass das Leitungswasser Trinkwasserqualität hat. Bei Unsicherheiten solltest Du auf Alternativen zurückgreifen.
  • Unterstütze Dein Immunsystem mit ausgewogener Ernährung, Bewegung an der frischen Luft und Entspannungsphasen bei Stress.

Unter www.sepsischeck.de/check findest Du eine Liste der Sepsis-Stiftung zum Ausfüllen. Diese Liste ist in die Kategorien „Risikofaktoren“, „Verdachtszeichen Infektion“ und „Kann es Sepsis sein?“ unterteilt. Sie soll dabei helfen, das Rettungspersonal mit zusätzlichen wichtigen Informationen zu versorgen. So kann im Fall der Fälle noch besser – und vor allem schneller – geholfen werden.

Eine Hilfe für Prävention und Früherkennung stellt das Robert Koch Institut (RKI) zur Verfügung: Auf dieser Webseite findet Du eine Infografik zum Abspeichern oder Ausdrucken.